Die neue Grundsatzdebatte der DFL: So wird im Hintergrund an der Abschaffung von 50+1 gearbeitet

Martin Kind hat am 5. Februar 2018 seinen Anfang September 2017 bei der DFL gestellten Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel „ruhend gestellt” . Plötzlich will Martin Kind der große Lutheraner werden und als Reformator des deutschen Fußballs in die Annalen eingehen. Denn just an diesem 5. Februar 2018 erklärt das DFL-Präsidium, ohne einen von außen erkennbaren Sachgrund, es müsse eine neue 50+1-Grundsatzdebatte geführt werden.

Dabei hatten alle 36 Clubs der 1. und 2. Bundesliga erst 2014 mit 36 zu null Stimmen, also auch mit der Stimme Martin Kinds, über die Kriterien für eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel abgestimmt. Damit hatte auch eine seit spätestens 2006 intensiv geführte 50+1-Grundsatzdiskussion, in die sich Martin Kind u.a. mit einer Klage gegen die 50+1-Regel einbrachte, einen Konsens und damit ihr Ende gefunden.
„Wir haben verstanden“, schrieb DFB-Präsident Reinhard Grindel noch im Sommer des letzten Jahres, „dass es um mehr geht. Der Fußball in Deutschland steht auch für Stehplätze, faire Eintrittspreise und die 50+1-Regel“
(https://www.dfb.de/news/detail/dfb-praesident-grindel-gemeinsam-in-den-dialog-eintreten-172247)
Damit wurde also gerade erst nicht nur der finale Punkt hinter die 50+1-Diskussion gesetzt, sondern ein Vertrauenstatbestand und ein Gradmesser der Glaubwürdigkeit jedes einzelnen Präsidiumsmitgliedes des DFB und der DFL geschaffen.

DFL ohne Argumente für eine plötzliche Grundsatzdebatte
Das Argument einer unzureichenden Wettbewerbsfähigkeit deutscher Clubs im europäischen Vergleich aufgrund der „überholten“ Voraussetzungen der 50+1-Regel (so der unablässig Rekordzahlen verkündende DFL-Geschäftsführer Christian Seifert), ist zur Begründung einer Reform-Debatte nicht tauglich. Denn mit Hoffenheim und Leipzig haben ausgerechnet zwei Clubs, bei denen die 50+1-Regel faktisch nicht gilt, die Erwartungen in der Champions League nicht erfüllt. Zudem handelt es sich nur um eine Momentaufnahme eines noch nicht einmal abgeschlossenen Wettbewerbs.
Auch die Ansichten Alfred Draxlers (Bild), Rainer Franzkes (Kicker), Hasan Ismaiks (1860 München) und Martin Kinds (Hannover 96), die unablässig verkünden, die 50+1-Regel sei nicht gerichtsfest, sind nicht neu und doch weiterhin eine bloße Behauptung.

Der Ligapräsident der DFL, Reinhard Rauball, hat sich hierzu bereits am 30. Juni 2011 – in einem Interview mit Welt Online zur damaligen Klage Kinds gegen die 50+1-Regel – unter dem Titel „Der deutsche Fußball braucht keinen Zirkus“, folgendermaßen geäußert:
„Der Sport hat durch das Grundgesetz das Recht, sich selbst zu organisieren – inklusive der Rechtsgebung und Rechtsprechung. Das ist eine verfassungsrechtliche Norm, die nicht ohne weiteres durch EU-Gesetze außer Kraft gesetzt werden kann.“
(https://www.welt.de/sport/fussball/article13459507/Der-deutsche-Fussball-braucht-keinen-Zirkus.html)

Im Schiedsgerichtsurteil von 2011 sind seitens des Ständigen Schiedsgerichts der Lizenzligen – mit juristisch überzeugender Begründung – die Gerichtsfestigkeit der 50+1-Klausel und der voraussichtliche Ausgang einer Klage Martin Kinds nachlesbar.

Denn trotz der damaligen Rücknahme des Klageantrages zur Abschaffung der 50+1-Regel musste sich das Gericht, im Hinblick auf die zu treffende Kostenentscheidung, mit der Erfolgsaussicht dieses Klageantrages von Martin Kind beschäftigen und hat diese verneint.
Tatsächlich hat sich aktuell nur die Wahrnehmung dahingehend geändert, dass Martin Kind in Hannover die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung nicht auch nur ansatzweise erfüllt hat. Damit sind Überlegungen obsolet geworden, mit einer dann faktisch fünften 50+1-Ausnahmegenehmigung der Welt erklären zu können, bei der Vielzahl der zwischenzeitlich zugelassenen Ausnahmen könne die 50+1-Regel auch gleich ganz abgeschafft werden.
Gerade jetzt, als sich die erst kürzlich mit der Stimme Kinds aufgestellten Regeln bewähren, soll versucht werden, Martin Kind – und damit auch all denjenigen, welche gleiche Begehrlichkeiten hegen, jedoch keine ausreichende Förderung ihrer Vereine vorweisen können – durch eine Grundsatzdiskussion eine Hintertür zur Umgehung der 50+1-Regel zu eröffnen.

Keine erhebliche Förderung durch Martin Kind!
Um den Einstieg in eine derartige Debatte zu finden, wird Martin Kind plötzlich medial zum Reformer stilisiert. 70 Mio. EUR habe er „aufgewandt“, liest man jetzt plötzlich in der Bild Hannover. Dabei hat Martin Kind dem Hannoverschen Sportverein von 1896 e.V. nicht einmal 1 % (großzügig aufgerundet) der Summe gespendet, die Dietmar Hopp dem TSG Hoffenheim 1899 e.V. bis zum Tage seiner Antragstellung im Jahre 2014 gespendet hatte (36,7 Mio. EUR). Von vergleichbaren Investitionen in das ausgegliederte Profifußballunternehmen ganz zu schweigen.
So fabulierte Martin Kind selber wörtlich zu seiner persönlichen Förderung auf einer Pressekonferenz am 6. Februar 2018 in Hannover:
„Gespendet habe ich viel, aber nicht selber. Ich halte viele Vorträge und die Honorare gehen unter dem Namen der Firma bei 96 e.V. ein. In der Spitze waren das manchmal bis über 35.000 EUR. Aber das war das Honorar für Spenden, äh für Vorträge und dann als Spende: Das, das zählt ja gar nicht mit, nicht. Das ist klar.“
„Und wir haben, die Gesellschafter, in den Spitzenzeiten deutliche Darlehen auch zur Verfügung gestellt, um immer auch die Li… die Liquidität ausreichend sicher zu… zusätzlich zu Stammkapital, stille und… und… und… also alles was in der Bilanz, kann man in der Bilanz lesen, die ist ja veröffentlicht, kann man alles nachlesen… äh kann man, äh das ist immer so, wir waren immer alle bereit und das geht auch nur, weil wir alle aus Hannover kommen…“
(http://www.sportbuzzer.de/artikel/pressekonferenz-hannover-96-50-1-dfl-antrag-kind/)

Die Tatsache, dass Martin Kind bis heute den Inhalt seines Antrags geheim hält, bestenfalls nebulöse, ebenso unbelegte wie unwahrscheinliche Zahlen nebenbei fallen lässt, spricht ebenso für sich, wie die Tatsache, dass das DFL-Präsidium die eigentliche Beschlussvorlage zur Ablehnung von Martin Kinds Antrag vom 5. Februar 2018 unter Verschluss hält.

Die Chance eines ehrlichen und transparenten Einstieges in eine von interessierter Seite angestrebte Déjà-vu-Debatte um die 50+1-Regel ist damit schon vor Beginn verspielt.

„Die Vereine sollen selbst entscheiden“ – Der Plan zur faktischen Abschaffung der 50+1-Regel
Den Plan zur faktischen Abschaffung der 50+1-Regel erläuterte auf selbiger Pressekonferenz dann Rechtsanwalt, Mitglied des Vereinsvorstands und Martin Kinds rechte Hand im Hannoverschen Sportverein, Uwe Krause: „Was ist denn eine erhebliche Förderung? Da gibt es Leute, die sagen 1.000 EUR reicht und da gibt es Leute, die sagen, jedes Jahr eine Milliarde reicht nicht. Wir als 96, wir als Verein, wir fühlen uns aber von Herrn Kind erheblich gefördert. Und da kommt es auch nicht auf die genaue Summe an.“ Zukünftig soll es also möglich sein, dass innerhalb der Muttervereine nach dem „Gefühl“ einzelner, womöglich noch vom Investor ausgesuchter Vereinsprotagonisten, entschieden wird, ob sie das Mehrheitsstimmrecht über die von der DFL lizenzierten Tochtergesellschaft unabhängig von einer wirtschaftlich erheblichen und ununterbrochenen Förderung aufgeben wollen. Damit könnte zukünftig in jedem Verein, nur weil jemand den Verein „begleitet“, das Mehrheitsbestimmungsrecht an den „Begleiter“ übertragen werden.
Ausgerechnet Wolfgang Holzhäuser, bis Sommer 2017 bei Bayer Leverkusen, bringt bereits „langfristige“ Kapitalhaltefristen, die einer Heuschreckenmentalität entsprechen, von nur noch drei Jahren ins Spiel, was ebenfalls den Beschlüssen der DFL-Mitgliederversammlung im Jahre 2014 eklatant widerspricht.
(http://www.tagesspiegel.de/sport/interview-zur-501-regel-wolfgang-holzhaeuser-was-ist-fussballkultur/20968596.html)
Selbst wenn also der Wortlaut der 50+1-Regel erhalten bliebe, bedeutet eine derartige Aufweichung der 2014 beschlossenen Kriterien für eine Ausnahmegenehmigung nichts anderes als die faktische Abschaffung der 50+1-Regel.
Nur ein demokratisch, mit einer satzungszweckändernden Mehrheit, herbeigeführter Beschluss der Mitgliederversammlung des Muttervereins sollte einen – zudem den Mitgliedern überhaupt erst einmal offen gelegten – Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel die Legitimation verschaffen, diesen überhaupt stellen zu dürfen. Hierzu genügt die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in die Lizenzordnung oder in ein Rundschreiben der Rechtsabteilung der DFL, erfordert aber keine Grundsatzdiskussion.

Die Verantwortlichen von DFB und DFL stehen in der Pflicht
Vor allem zeigt auch DFL-Chef Christian Seifert, dass er nicht wirklich verstanden hat, wenn er annimmt, die Vereinsmitglieder und Fans würden nicht erkennen, welches Ziel er mit seinem Manöver um Martin Kinds Antrag verfolgt. Dies irritiert vor allem deshalb, weil ihm die 36 Mitglieder des DFL Deutsche Fußball Liga e.V. im Jahre 2014 ein klar gegenteiliges und von ihm ohne Scheingefechte umzusetzendes Mandat erteilt haben.
Reinhard Grindel aber, qua Amt erster Sachwalter der Idee des gemeinnützigen, demokratischen und für jeden offenen Vereins, schweigt ebenso wie der für den Amateurfußball verantwortliche DFB-Vizepräsident Rainer Koch, der sich im letzten Sommer gegenüber Hasan Ismaik noch als Hüter des Grals der 50+1-Regel besonders in Szene gesetzt hatte.
Dabei sollten die Mitglieder in den Gremien der DFL, des DFB und aller Profi- und Amateurclubs sehr genau wissen, worauf sie sich einlassen, wenn die 50+1-Regel und die 2014 beschlossenen Kriterien einer Ausnahmegenehmigung auch nur ansatzweise abschwächend angetastet würden, denn die Ausgliederungen von Fußballabteilungen aus den Stammvereinen erfolgten bundesweit in der Gewissheit der Bestandskraft der 50+1-Regel. Der somit geschaffene Vertrauenstatbestand darf nicht zum Spielball für Investoren wie Martin Kind werden, die Satzungen, Beschlüsse und Regeln nur als Empfehlungen ansehen.
(http://www.sportbuzzer.de/artikel/martin-kind-zur-ubernahme-von-hannover-96/)
Um sein minimalistisches „Hannover-Modell“ am Ende doch noch durchsetzen zu können, benötigt Martin Kind zunächst in der Mitgliederversammlung der DFL eine 2/3-Mehrheit, also 24 von 36 Clubs müssten seine Vorschläge unterstützen bzw. einer Abschaffung der 50+1-Regel zustimmen.
Martin Kind glaubt jedenfalls, sich nun nicht mehr nur mit vielen Fans und Vereinsmitgliedern in Hannover anlegen zu müssen, sondern er fordert jetzt alle Fans und Vereinsmitglieder in Deutschland heraus.
Vor dem Hintergrund der erst 2014 abgeschlossenen Debatte stehen die Gremien der DFL, aber besonders auch des DFB, in der Pflicht, jedweden Abschwächungs- oder Abschaffungstendenzen bezüglich der Kriterien für eine Ausnahmegenehmigung der 50+1-Regel jetzt entgegenzuwirken.
Die Fans sollen wieder einmal für dumm verkauft werden, indem vermeintliche Unterstützer der Fußball-Fans wie Axel Hellmann von einer „Verhärtung“ der 50+1 Regel sprechen , dabei aber Selbstverständlichkeiten anbieten.
(http://www.hessenschau.de/sport/fussball/eintracht-frankfurt/eintracht-vorstandsmitglied-hellmann-montagsspiele-werden-keine-grosse-zukunft-haben,hellmann-heimspiel-102.html)

Dabei fehlt es der DFL seit einigen Jahren nur an der konsequenten Anwendung und Durchsetzung der 50+1-Regel und der beschlossenen Regularien, wie im Falle von RB Leipzig. Der Glaube, dass angedachte Verbote von Standortwechseln oder der Änderung von Vereinsnamen-und -farben dabei die Ängste und Nöte der Fans kurierende „Beruhigungspillen“ sein könnten, das Ansinnen nicht zu durchschauen, ist ein großer Irrtum.
Die Aussage, die 50+1-Regel sei nicht mehr zeitgemäß und müsse deshalb reformiert werden, ist ein Trugschluss. Sie ist vielmehr die innovativste und zugleich wohl auch modernste Regel der jüngeren Fußballgeschichte – ein Erfolgsprodukt. Seit Jahren ist die Bundesliga die Fußball-Liga mit dem größten Zuschauerzuspruch und selbst die 2. Bundesliga rangiert in dieser Statistik bereits auf Platz 7 weltweit. Sowohl im Fall Ismaik als auch im Fall Kind hat sich die Regel gerade bewährt. Den sich um Christian Seifert und Martin Kind sammelnden Kapitallobbyisten ist bisher kein einziges schlüssiges Argument für die Abschwächung der 50+1-Regel eingefallen.
Eine wiederholte Grundsatzdebatte mit dem auch medial unverhohlen vorgetragenen Ziel, die 50+1-Regel sowie die Kriterien einer Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel abschwächen oder gar ganz abschaffen zu wollen, lehnt Pro Verein 1896 entschieden ab. Es besteht weder der Anlass dazu, noch sind daraus Verbesserungen für den deutschen Fußball zu erwarten.

Werdet Mitglied!
In Folge des auf eine neue Ebene gehobenen Vorstoßes Martin Kinds, der unklaren bzw. fehlenden Positionierung der DFL und des plötzlich behaupteten „Reformbedarfs“ raten wir den Fangemeinschaften der Vereine aller Ligen:
Werdet Mitglied in den Vereinen! Sichert Euch das Stimmrecht und übernehmt Verantwortung in den Gremien! Sichert in den Satzungen mit maximaler Hürde die 50+1-Regel und verankert auch die Kriterien einer Ausnahmegenehmigung in den Satzungen, solange nicht ausnahmslos für alle Clubs die 50+1-Regel gilt!
50+1 ist nicht verhandelbar!