Martin Kind und die „erhebliche Förderung“

Warum sein „Hannover-Modell“ gescheitert ist

Martin Kind spricht bekanntlich häufig davon, dass die 50+1-Regel, die sicherstellen soll, dass die Mitbestimmung der Vereine im Fußball gewahrt bleibt, endlich abgeschafft werden müsse – zumindest aber deren Geltung für ihn – damit er endlich ausreichend Kapital für Hannover 96 zur Verfügung habe. In diesem Zusammenhang führt Martin Kind auch gerne an, dass er in der Region Hannover keine potenten regionalen Sponsoren finden könne, da diese „strukturschwach“ sei. So geschehen u.a. vor den anwesenden Vereinsmitgliedern auf der Mitgliederversammlung 2017.

Hannover ein strukturschwacher Raum? Wohl kaum, meint u. a. die Wirtschaftsförderung der Region Hannover und listet einige interessante Fakten auf:

In den 21 Gemeinden der Region Hannover leben rund 1,2 Mio. Einwohner (+ 90.000 seit 2011). Die Gegebenheiten sind herausragend: „Die Region Hannover ist einer der führenden Wirtschaftsstandorte in Norddeutschland mit hervorragenden Zukunftsperspektiven“. Fast 500.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte stellen ein Rekordhoch dar und erwirtschaften in 51.000 Unternehmen jährlich ein Bruttoinlandsprodukt, das mit etwa 70.000 Euro je Erwerbstätigen deutlich über dem Bundesschnitt liegt. Die Kaufkraft in der Region beträgt gut 25 Mrd. Euro im Jahr, was mit etwa 23.000 Euro je Einwohner ebenfalls über dem Bundesschnitt liegt. 27 der 100 umsatzstärksten (davon 14 mit über 1 Mrd. Euro) und 22 der 50 wertschöpfungsstärksten Unternehmen Niedersachsens haben ihren Sitz in der Region, die Teil eines der wichtigsten internationalen Zentren der Automobilindustrie und Standort des größten Messegeländes der Welt ist. Mit dem Continental-Konzern ist ein Unternehmen im DAX, mit dem Talanx-Konzern (HDI) ein Unternehmen im MDAX und mit der TUI AG ein Unternehmen im FTSE 100 gelistet. Dazu ist VW Nutzfahrzeuge als größter Arbeitgeber Hannovers Teil des größten Automobilkonzerns der Welt.

Auch die IHK Hannover hat „Beste Aussichten für 2018“ ausgemacht und einen Boom der niedersächsischen Wirtschaft ermittelt, die „Rekordwerte wie zu Zeiten der Deutschen Einheit“ erreiche.

Nun kann man die Frage stellen, warum es mit Martin Kind einen Mann gibt, der das alles anders sieht und Hannover einen Standortnachteil in der Bundesliga attestiert. 96 rangiert in der Zuschauertabelle derzeit übrigens auf Platz 10.

Die Investoren der S&S – Mäzene oder Nutznießer?

Schaut man sich die Investoren der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG (S&S) an, findet man dort zumindest mit Rossmann ein Unternehmen, das im Ranking der stärksten Unternehmen der Region, und nicht nur dort, ganz weit oben steht: 5 Mrd. Euro Umsatz, 180 Mio. Euro Gewinn, 26.000 Mitarbeiter, bundesweit und in einigen europäischen Ländern aktiv. Das wäre doch ein prädestinierter Trikotsponsor – 5 Mio. Euro im Jahr sollten im Werbebudget drin sein, um auf der Premiumplattform Bundesliga präsent zu sein. In der Liste der Sponsoren sucht man Rossmann allerdings vergeblich. Man belässt es lieber bei einer Einmalzahlung von 5 Mio. Euro für 20 % der S&S, die schon heute – unter Geltung der 50+1-Regel und Zugrundelegung des Eigenkapitals – deutlich mehr wert sind.

Kind Hörgeräte ist nach Eigendarstellung der deutsche Marktführer und „eines der weltweit führenden Unternehmen der Hörgeräteakustik“. Andere Quellen sagen zwar, dass die Marktführerschaft mittlerweile passé sei, aber mit einem kolportierten Umsatz von 270 Mio. Euro in Deutschland und den branchenüblichen hohen Margen (über konkrete Zahlen schweigt sich Martin Kind natürlich auch hier aus), sollte wohl ein Premiumsponsoring bei einem Bundesligaverein finanziell möglich sein. Aber auch Martin Kind zahlt Hannover 96 als Sponsor keinen müden Cent. Der Wert seiner Beteiligung an der S&S hat sich allerdings fast verdoppelt (Stand 30.06.2016). Wenn also tatsächlich jemand käme, der ihm seine Beteiligung abkaufte, wäre dies der goldene Handschlag. Verkaufen würde er ja umgehend an jeden, wie er Vereinsmitglieder und Öffentlichkeit bereits mehrfach wissen ließ.

Dritter in der Runde, mit einer 16-prozentigen Beteiligung an der S&S, ist Gregor Baum. Immobilienmogul, Hotelbetreiber (Courtyard), Gestütbesitzer und Eigentümer der Burger King Deutschland GmbH, die nicht nur 80 Restaurants betreibt, sondern auch die komplette administrative Abwicklung Burger Kings in Deutschland übernimmt. Auch diesen Unternehmer sucht man auf der Topsponsorenliste von Hannover 96 vergeblich.

Diese drei Anteilseigner der S&S schmücken sich also mit der vermeintlichen finanziellen Unterstützung von Hannover 96, verdienen ihr Geld mit einem Massenprodukt auf dem Privatkundensektor und sind nicht bereit, ihrer Verantwortung für Hannover 96 gerecht zu werden, indem sie dem Sponsorenpool nennenswerte Beträge zukommen lassen. Martin Kind hingegen konnte die Bekanntheit seines Unternehmens in den letzten zwanzig Jahren, auch durch seine ständige Medienpräsenz, deutlich steigern und investierte in diesem langen Zeitraum weniger, als der aktuelle Hauptsponsor Heinz von Heiden, ein mittelständisches Unternehmen aus der Region Hannover, seit seinem Einstieg im Jahr 2014 bisher aufwendete. Zuwendungen, die über Kinds Investitionen in die S&S hinausgehen, sind nach wie vor nicht ersichtlich.

Kapitalerhöhung nötig?

Jüngst sprach Martin Kind auf dem SpoBis, einer Fachveranstaltung mit Vertretern aus Fußball und Wirtschaft, darüber, dass Hannover 96 eine Kapitalerhöhung benötige, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese sollte nach dem Fall von 50+1 durch jetzige oder neue Gesellschafter erfolgen. Die Frage, ob die bisherigen Gesellschafter darüber schon Bescheid wissen, insbesondere die beiden mit Martin Kind zerstrittenen Minderheitsgesellschafter Baum und Wilkening, die eine Anteilserhöhung mitunter auch verhindern könnten, wurde nicht gestellt.

Welchen neuen Investor Martin Kind aus der Tasche zaubern möchte, um ihm, als Stimmrechtsmehrheitseigentümer nach dem Fall von 50+1, sein Geld anzuvertrauen, bleibt nebulös. Für einen neuen Investor würde sich nachhaltig nichts ändern, denn er könnte weiterhin nicht über sein Kapital verfügen: Er wäre dann allein abhängig von Martin Kind und dessen Entscheidungen. In den letzten Jahren wurden die Anteile auch eher verkauft (Meyer, Madsack, Schiemann) als gekauft.

Martin Kinds Ankündigung aus dem Jahr 2011, nachdem das Schiedsgerichtsurteil zur 50+1-Ausnahme gesprochen war, dass im Folgejahr 25 Mio. Euro in Hannover 96 investiert würden, wurde mit 12,5 Mio. Euro  – davon 11,5 Mio. durch die Aufnahme neuer Gesellschafter – zumindest deutlich verfehlt. Aktuelle Ankündigungen können daher lediglich als Lippenbekenntnisse bewertet werden.

Überdies ist eine Kapitalerhöhung nur dann sinnvoll, wenn dadurch im Vergleich zur Konkurrenz deutliche relative Umsatzsteigerungen erzielt werden können. Wird das dafür notwendige sportliche Ziel allerdings verfehlt, steht man so da wie jetzt: Auf die letzte Verdoppelung des S&S-Kapitals im Jahr 2012 folgte aufgrund von Managementfehlentscheidungen Martin Kinds der Absturz vom Europa-League-Teilnehmer bis in die zweite Liga, wodurch man mindestens 12 Mio. Euro verbrannte.

Hannover 96 braucht Umsatztreiber

Um nachhaltig zu wirtschaften und sich weiterzuentwickeln, muss Hannover 96 seine Einnahmenseite verbessern. Es fehlen primär keine Einmalzahlungen durch Investoren, die durch strategische Fehlentscheidungen ­– wie jüngst in Stuttgart – keine Wirkung entfalten. Es fehlen regelmäßige Sponsorenzahlungen der Premiumklasse — z. B. durch die Gesellschafter.

Martin Kinds persönliches Scheitern

Man wird also fragen dürfen, ob die Probleme, die Martin Kind wahlweise in den Beschränkungen der 50+1-Regel (die für ihn ja ohnehin nur theoretisch gelten, da er sie praktisch seit vielen Jahren umgeht) oder einer „strukturschwachen Region“ begründet sieht, nicht eher mit den von Martin Kind aufgebauten Strukturen und seinen persönlichen Managemententscheidungen verbunden sind.

Hierfür sprechen nicht nur die Vorgänge innerhalb der S&S, sondern auch das Fehlen finanzkräftiger Unterstützer. Denn selbst wenn man sich auf Kinds Behauptung einließe, in der Region ließen sich keine anderen Sponsoren finden, bleibt doch die Frage, warum er auch außerhalb der Region niemanden finden kann oder will. Die Bundesliga ist ein weltweit vermarktetes, nationales Produkt und daher grundsätzlich auch für entsprechende Sponsoren interessant. Wenn man in der Vergangenheit, neben dem strategischen Rückzug der TUI AG, allerdings Sponsoren wie Würth und zwischenzeitlich Continental verliert, muss die Frage erlaubt sein, ob die vermeintliche Finanzschwäche nicht hausgemacht ist.