Faktencheck: Wurde das Niedersachsenstadion von Martin Kind bezahlt?

Immer häufiger hört und liest man in letzter Zeit Aussagen Martin Kinds, die die Finanzierung des in den Jahren 2003 bis 2005 für etwa 65 Mio. Euro in großen Teilen neugebauten Niedersachsenstadions betreffen. Es wird von Martin Kind wiederholt behauptet, dass die Sales & Service GmbH & Co. KG (S&S), deren Mehrheitsgesellschafter Martin Kind mittlerweile ist, den Neubau des Stadions gestemmt hätte. Derartige Aussagen tätigte Martin Kind in der Fernsehsendung „sky 90“ am 09.04.2017. Auch in einem fragwürdigen Schreiben vom 21.04.2017 an die Mitglieder anlässlich der Jahreshauptversammlung des HSV v. 1896 e.V., in dem die Entmündigung der Mitglieder von diesen gefordert wird, wird auf diesen „Erfolg des Vereins“ verwiesen.

Pro Verein 1896 hat diese Aussagen einem Faktencheck unterzogen:

Wie kam es eigentlich zum Umbau des Niedersachsenstadions?

Die Landeshauptstadt Hannover (LHH) hatte sich Mitte der 90er Jahre zum Ziel gesetzt, das eigene Niedersachsenstadion als Leichtathletikstadion grundlegend zu sanieren. Leider klaffte zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine größere Lücke im zweistelligen Millionenbereich. Dann kam die Erteilung der Fußball-WM 2006, bei der die LHH dabei sein wollte, und Hannover 96 wollte eher kurz- als mittelfristig in die 1. Liga aufsteigen. Hierzu favorisierte 96 ein reines Fußballstadion, das komplett überdacht sein musste, um eine Chance auf WM-Spiele zu erhalten.

 

Wie kam es zur heutigen Konstellation?

Die LHH entschied sich 2001 für die Vergabe einer Stadionkonzession für die Dauer von 25 Jahren ab Baufertigstellung. Die Stadionkonzession sah u.a. den Umbau zu einer WM-Arena, den Betrieb und die Erhaltung des Stadions über diesen Zeitraum vor.

Die Konzession wurde zunächst an ein Konsortium aus dem Bauträger „Wayss und Freytag“ und der uns gut bekannten privatwirtschaftlichen S&S vergeben. Der Hannoversche Sportverein von 1896 e.V. war hingegen von Anfang an überhaupt nicht beteiligt. Äußerst fragwürdig ist in dem Zusammenhang, dass in sämtlichen Beschlussvorlagen der Stadt die privatwirtschaftliche S&S mit Hannover 96 gleichgesetzt wurde.

Die Konzessionäre sollten eine Projektgesellschaft gründen und mit Betriebskapital in Höhe von 5 Mio. Euro ausstatten. Nach Bauabschluss schied Wayss und Freytag planmäßig aus dieser „Arena GmbH & Co. KG“ aus, die sich fortan komplett im Eigentum der S&S befand.

 

Haben die S&S oder Martin Kind das Stadion bezahlt?

Nein. Das Stadion ist zu etwa einem Drittel (23,17 Mio. Euro) von Zuschüssen der LHH, der Region Hannover und des Landes Niedersachen bezahlt worden. Die anderen zwei Drittel sind vollständig kreditfinanziert. Kreditgeber sind die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW; 21,5 Mio. Euro), die Nord LB (10,8 Mio. Euro) und die Sparkasse Hannover (10,8 Mio. Euro), also drei öffentlich-rechtliche Kreditinstitute. Die Kredite sind allesamt auf verschiedene Arten durch die LHH gegen Ausfall abgesichert.

 

Moment mal! Was ist da passiert?

Die Stadt Hannover konnte ihr Stadion nicht bauen, da sie auf Landesorder nicht entsprechend investieren durfte. Also wurde ein privatwirtschaftliches Unternehmen (S&S) mit 21 Mio. Euro von der öffentlichen Hand (Stadt, Region, Land) beschenkt und der komplett kreditfinanzierte Restbetrag durch die Stadt abgesichert. Im Falle einer Insolvenz hätte die Stadt ihr Stadion also trotzdem selbst bezahlt, auch wenn sie eigentlich nichts investieren durfte. Die S&S war Nutznießer, ohne ein Risiko einzugehen, das über die in die Betriebsgesellschaft investierten 5 Mio. Euro, also lediglich etwa 8 % der Bausumme, hinausging.

 

Und wer hat das Stadion jetzt tatsächlich bezahlt?

Unsere Profifußballgesellschaft, die KGaA, zahlt eine jährliche Miete von etwa 6 Mio. Euro an die Arenagesellschaft. Wir erinnern uns: Die KGaA befand sich zum Abschluss des Konzessionsvertrages zu 49 % im Eigentum des Hannoverschen Sportvereins von 1896 e.V. Diese sich damals zur Hälfte in Vereinseigentum befindliche Gesellschaft hatte also Miete an eine Tochtergesellschaft der privatwirtschaftlichen S&S zu zahlen, die staatliche Zuschüsse in zweistelliger Millionenhöhe erhalten hatte, und deren Eigentümerin, die S&S, im Vergleich zur Gesamtsumme der Investition quasi keine Risiken eingegangen ist oder Sicherheiten für die Kredite zu stellen hatte. Hier wurde also der Erfolg privatisiert, der Misserfolg verstaatlicht und zu zahlen hatte es hälftig „der Verein“.

 

Martin Kind oder die S&S haben wirklich fast nichts zur Bezahlung des Stadions aufgewendet?

Genau. Bezahlt wurde die Miete im Grunde durch die Zuschauer, Logenmieter und Werbepartner. Spenden oder Einzahlungen in das Eigenkapital, um die Kreditsumme und damit die Miete wesentlich zu verringern, gab es von Martin Kind oder S&S nicht.

 

Was passiert denn nach Ablauf der Konzession?

Nach Ablauf der Konzessionszeit geht das Stadion wieder in den Besitz der LHH über. Es wurde also weder am Grundstück noch am Stadion Eigentum geschaffen. Eine neue europaweite Ausschreibung einer Stadionkonzession kann dann zu einem gänzlich anderen Stadionbetreiber und völlig veränderten Konditionen für die Profifußballgesellschaft führen. Dies gilt umso mehr, wenn in dem Stadion ein vom e.V. vollständig getrenntes privatwirtschaftliches Unternehmen Hannover 96 eine Konzession erwerben will. So einfach wie 2001 wird es nicht noch einmal.

 

Ist der Bau des Stadions denn dann überhaupt ein Erfolg für den Verein?

Absolut! Für die Einfädelung dieser ausgeklügelten Taktik zur Ausbootung von Verein und Absaugung staatlicher Subventionen bei vollständiger Risikovermeidung verdient Martin Kind allerhöchsten Respekt.

 

Ein Kommentar

  1. Hallo,

    ich kann jeglichen Unmut verstehen, aber die S&S erhält einen Zuschuss von der Stadt… das ist ja so in Ordnung und wird ja in vielen Bereichen durchgeführt (nicht nur hier). Das heißt die S&S ist schon mal nicht belastet mich 21 Mio (höchstens durch evtl. Körperschaftsteuer). Aber das sei mal dahingestellt. Die restlichen 43 Mio werden ja nach eurer Meinung durch langfristige Darlehen finanziert… na ja die ganze Summe in eins aufbringen ist ja auch nicht so einfach. Aber die Stadt bürgt ja nur…. zahlen (Zinsen und Tilgung) wird aber durch die S&S oder? Diese ist ja auch Darlehensnehmer… und insolvent ist diese auch noch nicht. Also keine Weitere zusätzliche Belastung durch die Stadt. Eine Miete durch die KGAA an die AreneGesellschaft ist ja auch nötig, da die Arenagesellschaft die Kosten des Stadion trägt und ohne Einnahmen nur Defizit erwirtschaften würde und somit evtl. Überschuldet wäre…. das führt dann zu einer Indolvenz…

    Grüße

    Florian

Kommentare sind geschlossen.