Interview: Kurvengeflüster Aachen

Kurvengeflüster Aachen

 

In Aachen klopfen zur Zeit Investoren beim ATSV Alemannia an. Ebenso wie Martin Kind wollen diese Investoren die 50+1 Regelung mittelfristig aufheben. Wir haben für den dortigen Kurvenflyer “Kurvengeflüster” dem Kollektiv Aachen ein paar Fragen beantwortet.

Hallo und erstmal vielen Dank dafür, dass ihr euch die Zeit nehmt uns ein paar Fragen zu beantworten. Stellt doch bitte erstmal vor wann und wieso ihr eure Interessengemeinschaft gegründet habt.

Nach den vergangenen Mitgliederversammlungen unseres Hannoverschen Sportvereins von 1896 e.V. nahm die Unzufriedenheit unter den Mitgliedern immer weiter zu. Es gipfelte in der Versammlung im April 2015, auf der vom Vorstand erstmals verkündet wurde, dass die letzten Anteile des Vereins an der seit 1999 in eine KGaA ausgegliederten Profifußballsparte bereits im Oktober 2014 verkauft wurden. Seit der damaligen Ausgliederung schrumpfte der Anteil des Vereins durch Kapitalerhöhungen, die der Verein nicht mitgehen konnte, von ursprünglich 49 % auf zuletzt gute 15 %. Diese letzten Anteile wurden, wie manche formulierten, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verkauft, ohne die 20.000 Mitglieder des Vereins vorher zu informieren. Infolge dieser Ereignisse gründeten einige Vereinsmitglieder die Interessengemeinschaft Pro Verein 1896, um den Mitgliedern die komplexen Sachverhalte rund um 50+1 näherzubringen, den Mitgliedern eine Stimme zu verleihen und die weitere Entwicklung des Vereins kritisch zu begleiten.

Aus welchen Teilen und Gruppen der Fanszene setzt sich eure IG zusammen?

Pro Verein 1896 ist zunächst einmal ein Zusammenschluss von Vereinsmitgliedern, die in allen Bereichen des Stadions beheimatet sind. Unterstützt werden wir ferner von der Fan-IG Rote Kurve und weiteren Gruppierungen der aktiven Fanszene.

Was sind eure konkreten Ziele?

Wir wollen erreichen, dass 50+1 in Hannover erhalten bleibt. Hierzu setzen wir uns für eine stärkere Transparenz innerhalb des Vereins und die Stärkung der Rechte der Mitglieder und des Aufsichtsrats ein. Außerdem steht Hannover 96 nicht nur für Profifußball. Wir sind Mitglieder eines Breitensportvereins mit vierzehn Sparten, die Unterstützung verdienen.
Apropos Ziele. Gibt es vielleicht das ein oder andere Ziel, welches man sich in der Vergangenheit gesetzt hat und nun vielleicht schon durchsetzen konnte?

Auf der letzten Mitgliederversammlung im April 2016 wurde von den Mitgliedern ein neuer fünfköpfiger Aufsichtsrat gewählt, der in unserem Verein den Vorstand bestellt. Pro Verein 1896 hatte drei Kandidaten unterstützt, die sich alle mit unseren Zielen identifizieren. Zwei der von uns empfohlenen Kandidaten wurden schließlich in das Amt gewählt. Das kann man als Erfolg betrachten, da die andere Seite vor und während der Versammlung massiv Stimmung gegen unsere Kandidaten gemacht hat. Leider besteht im Aufsichtsrat weiterhin eine Mehrheit gegen den Erhalt von 50+1 in Hannover, weswegen im Aufsichtsrat jetzt zwar eine Gegenmeinung vertreten ist, das eigentliche Ziel jedoch noch nicht erreicht werden konnte. Zusätzlich konnte eine Änderung der Vereinssatzung erreicht werden, die vor allem das Ziel verfolgte, den Aufsichtsrat zu stärken und so für mehr Transparenz in der Vereinsführung zu sorgen.

Wie ist euer Verhältnis zu den Offiziellen des Vereins?

Grundsätzlich ist das Verhältnis zu den offiziellen des eingetragenen Vereins gut. Die Angestellten der Profifußballgesellschaften halten sich bei den meisten für uns relevanten Themen allerdings sehr bedeckt, speziell was das Thema 50+1 angeht. Als Beispiel können wir das „DFL-Papier“ nennen, welches die Regelungen einer Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel nach 20 Jahren kontinuierlicher Förderung enthält. Dieses dürfen die Vereinsmitglieder nicht einsehen, obwohl es doch ihren Verein betrifft. Generell werden Anfragen abgewiesen, wenn man der Meinung ist, dass es Themen des Profifußballs und nicht des e.V. sind. Entgegen der Aussagen der Verantwortlichen, alle Gesellschaften und der Verein seien eine „ideelle Einheit“ und alles sei „ein großes 96-Haus“ findet eine deutliche Abgrenzung zwischen e.V. und Profifußball statt.

Wie ihr vielleicht wisst, klopft bei uns ein Investor an die Türe und will mittelfristig die Mehrheitsanteile an unserer GmbH übernehmen. Habt ihr vielleicht aufgrund eurer Erfahrungen den einen oder anderen Tipp für uns übrig?

Wenn man sich die Lage in Deutschland anschaut, gibt es viele abschreckende Beispiele, wie z.B. 1860 München, die HSV AG und auch leider Hannover 96. Die Vereine begeben sich in finanzieller Notlage in Abhängigkeiten von Investoren, welche die prekäre Lage ausnutzen, eine heile Zukunft ausmalen und letztlich nur ihre Interessen verfolgen. Wir kennen die Verhältnisse in Aachen natürlich nicht genau, aber generell ist es wichtig, dass der Verein und damit seine Mitglieder mündig bleiben. Eine Möglichkeit ist es, in die Satzung aufzunehmen, dass die Mitgliederversammlung über Verkäufe bestimmt. Falls die Mehrheit der Mitglieder verkaufen will, muss man das dann akzeptieren. Aber das Schicksal des Vereins darf nicht von den Launen einzelner Personen oder Investoren abhängig sein. Da seien z.B. die Markenrechte genannt, die aus unserer Sicht unverkäuflich sein sollten, um durch eine mögliche Lizenzierung Einnahmen generieren zu können, anstatt darauf zu hoffen, dass man die Marke nach dem Verkauf als gemeinnütziger Verein weiternutzen darf. In unserem Fall liegen die Markenrechte bei den Investoren und der Verein darf den Namen und dass Logo, welche er seit über 100 Jahren trägt, nur noch unentgeltlich nutzen. Ob der Verein in 20 Jahren weiterhin so heißt und das Logo nutzt, ist von der Gutmütigkeit der zukünftigen Investoren abhängig. Ebenso lebt unser Verein nur von den Mitgliedereinnahmen der heute ca. 20 000 Mitglieder, die aber zum größten Teil nur wegen des Profifußballs und der damit verbundenen Vorteile Mitglied geworden sind und bleiben. Die komplette Abhängigkeit des Vereins von der KGaA in Hannover sollte jedem Vereinsmitglied deutschlandweit ein mahnendes Beispiel sein.

Wie ist eure Einschätzung zur 50+1 Regel, gibt es Hoffnung, dass diese noch länger bestehen bleibt oder muss man in naher Zukunft damit rechnen, dass diese gekippt wird?

Die Diskussionen in den Medien um 50+1 nehmen zurzeit wieder zu. Meist äußern sich Menschen, die zwar in der Öffentlichkeit stehen, aber wenig Ahnung von der Materie haben. Gern wird dabei der Eindruck erweckt, die 50+1-Regel verhindere professionelle Strukturen oder das Engagement von Sponsoren oder Investoren. Das ist natürlich Unsinn, wie – um nur ein Beispiel zu nennen – schon der FC Bayern beweist. Die Gegenargumente kommen in den Medien aber grundsätzlich zu kurz. Vielen ist bewusst, dass diese 50+1-Regel bzw. deren Folge einen Großteil der Faszination Fußball in Deutschland ausmacht. Die DFL scheint daran festhalten zu wollen, hat aber unserer Ansicht nach große Angst vor einer gerichtlichen Entscheidung auf europäischer Ebene. Nur so lässt es sich erklären, dass Martin Kind so „leicht“ eine Lücke im System gebastelt wurde, die es überhaupt erst ermöglicht, dass wir uns darüber Gedanken machen müssen. Uns ist es unbegreiflich, wie Leute eine Abschaffung fordern können. Mehr Geld macht nicht alles attraktiver und es ist absurd, zu denken, dass der Profifußball dadurch profitiert. Das Rattenrennen Bundesliga scheint aktuell schon ausgereizt, an vielen Spieltagen gibt es Partien, die kaum Einschaltquoten und damit Geld generieren können und das würde sich nicht dauerhaft ändern, nur weil z.B. ein chinesischer Investor drei Superstars für 400 Millionen Euro pro Jahr in Buxtehude spielen lässt. Ein interessanter Aspekt ist auch, dass die meisten Personen, die eine Abschaffung in der Öffentlichkeit fordern, innerhalb des „Zirkus Profifußball“ arbeiten und direkt durch mehr Geld im System profitieren würden. Die öffentlichen Diskussionen werden unserer Ansicht nach immer weitergehen, solange die DFL nicht Stärke zeigt und stattdessen die Regel immer weiter aushöhlt, immer mal ein Auge zu drückt bei Umgehungen und weiterhin bei dem Thema den Kopf in den Sand steckt. Auf ein langjähriges Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof hat zurzeit wohl keiner der Investoren Lust. Martin Kind hat seine Regelung bekommen, Dietmar Hopp hat diese schon genutzt und Red Bull hat bei Rasenball natürlich nur maximal 50 % minus eine Stimme Einfluss, also alles sauber in Fußballdeutschland.

Es scheint hier sinnvoll, dass sich jeder Standort selbst absichert. Deutschlandweit werden oder wurden Regelungen zu 50+1 in die eigenen Vereinssatzungen integriert, Vertrauen in die DFL und den DFB scheint es bei dem Thema nirgendwo mehr zu geben.

Vielen Dank für das lesenswerte Interview. Die letzten Worte gehören natürlich euch!

Informiert euch frühzeitig, schaut eurer Vereinsführung auf die Finger und euch andere Vereine an, die ähnliches bereits durchgemacht haben. Überlegt euch, ob ihr die Geschichte und ehrenamtliche Arbeit von vielen Generationen in eurem Verein einfach so „verkaufen“ wollt, oder ob ihr als starker Verein nicht doch weiterhin am Ruder bleiben wollt.

 

 

Die Ausgabe des Kurvengeflüster gibt es auch online: http://kollektiv-aachen.de/kurvengefluester/

 

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